FLESH im Schauspiel Leipzig

Foto: Ida Senna / Schauspiel Leipzig

Tanz des Lebens

Ballett trifft auf Schauspielhaus Von Daniel Merbitz

Diese Kombination ist ein weiteres Ergebnis der systematischen Zusammenarbeit des Leipziger Schauspiels mit anderen städtischen Institutionen. Erst Zoo und Museum der bildenden Künste, dann Gewandhaus und Oper. Nun das Leipziger Ballett. Kein Orchestergraben trennt die Tanzenden vom Publikum, der Funken hat nicht viel Wegstrecke zu überwinden, bis er Emotionen entzündet. Diesen räumlichen Aspekt macht sich der Choreograph Iván Pérez, 1983 in Spanien geboren, zu Nutze, um seinen dreiteiligen Ballettabend »FLESH« mit Wärme und Intimität auszustatten. Der Beginn des ersten Stückes »Skyward« erinnert an Goethes »schwankende Gestalten« aus der »Zueignung« zum »Faust«, im Nebel erscheinen ungelenk Schatten aus der Vergangenheit. Dann beginnt ein Reigen aus Laufen und Hetzen, gefolgt von Paaren voller Harmonie, aber auch mit Dissonanzen. Ein ewiger Kreislauf des Aneinanderreibens und des Miteinanderraufens. Man kann an Shakespeare’sche Liebesdramen denken. Das gute Monster Liebe: unergründlich und zuweilen grausam. Dominanz und Macht, Liebe, Sehnsucht und Gefühl – dies alles wird vom Ballettensemble fließend, musikalisch und stimmig getanzt. Im zweiten Stück »Kick the bucket« geht der Tanz in höhere Sphären über, neue imaginäre Räume werden erschlossen, weite Imaginationswelten öffnen sich im Zuschauer. Musik und Tanz haben etwas Meditatives. James Joyce’ Bewusstseinsströme scheinen getanzt zu werden. Ein starkes tänzerisches Duett von Laura Costa Chaud und Piran Scott! Im dritten Stück »FLESH« steht ein fünf Meter langes Messer auf der Spitze, als sperriges und singuläres Element. Im Nebelschein glaubt man im Messergriff eine antike Statue zu erkennen, bis das Licht die Klinge freigibt. Jetzt wird das Mysterium Mensch erkundet, der Kreis des Lebens durchtanzt. Eine Sinfonie aus Bewegung und Klang. Zeitgenössischer Tanz, der alle Sinne anspricht.

Nach der Premiere wird der Bogen vom getanzten auf das reale Leben gelenkt: Die Zuschauer sind eingeladen, sich für das »Connection Café« des Schauspiel Leipzigs zu interessieren und zu engagieren, wo geflüchtete und heimische Menschen in den Dialog treten können. Enrico Lübbe und sein Theater setzen Zeichen für eine offene und tolerante Stadtgesellschaft.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Mai 2016