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Polens Rolle rückwärts. Was ist das?

Von E. Hexelschneider

In den Seiten von LNS nehmen Betrachtungen und Analysen zur internationalen, insbesondere zur europäischen und speziell zur russisch-deutschen Politik einen regelmäßigen, wenngleich bescheidenen Platz ein. In der vorliegenden Publikation gerät nunmehr unser direktes östliches Nachbarland mit einer soliden Darstellung der neuen innenpolitischen Verwicklungen in den unmittelbaren Fokus. Darauf aufmerksam zu machen, ist dringend notwendig, sind doch fundierte Kenntnisse über polnische Verhältnisse auch unter deutschen Linken nur wenig verbreitet. Die Verfasser der vorliegenden, sorgfältig gearbeiteten Schrift, ein Pole und ein Deutscher, sind arrivierte Kenner der Materie. Der eine ist der durch seine Veröffentlichungen zur polnischen Politik ausgewiesene Publizist Krzysztof Pilawski; der andere Holger Politt, Philosoph, Übersetzer und seit 2002 Mitarbeiter der Rosa-Luxemburg-Stiftung. Seit einigen Jahren befasst sich Politt intensiv mit der Übertragung und Deutung der polnischen, demzufolge hierzulande fast völlig unbekannt gebliebenen Schriften von Rosa Luxemburg in deutscher Sprache. Schon jetzt ist erkennbar, wie wichtig gerade dieser ganze Übersetzungskomplex für die internationale Luxemburg-Forschung ist und sein wird.

Die Verfasser lieben reißerische Überschriften, wie schon der sporttechnische Titel »Polens Rolle rückwärts« oder auch Untertitel wie »Anatomie des politischen Erfolgs«, »Verbotener Kommunismus« und »Republik der Verschwörer« zeigen. Dabei werden von den Autoren einige Leitlinien der polnischen Geschichte vom 18. Jahrhundert bis in die Gegenwart mit ihren Folgen faktenreich dargestellt. Im Mittelpunkt ihrer Ausführungen steht der staunenswerte Aufstieg der heutigen, 2001 von den Brüdern Lech und Jaroslaw Kaczynski begründeten nationalkonservativen Partei »Recht und Gerechtigkeit« (Prawo i Sprawiedliwosc, RiS).

Als zweite Linie werden die außenpolitischen Beziehungen des heutigen Polens, vor allem der konservativen Richtungen zur Europäischen Union untersucht. Dabei wird vor allem und zum wiederholten Male die These von einer Union der Vaterländer in den Mittelpunkt gerückt, nach der die alten nationalstaatlichen Rechte wieder hergestellt werden sollen. Das wird begleitet von heftigen und oft kritischen Angriffen gegen die wirtschaftlich stärkeren europäischen Staaten (Deutschland und Frankreich). Das bestimmt aber auch die Haltung der konservativen Kräfte, die seit 2005 neben der Regierung auch alle anderen wichtigen Positionen innerhalb des polnischen Staates gegenüber der EU einnehmen. Hintergründe und Zusammenhänge, die im Westen oft genug unbekannt sind, werden vor allem im Kapitel über die »Anatomie des politischen Erfolgs« behandelt mit dem Fazit: Im nationalkonservativen Regierungslager gilt eine instrumentalisierte, auf Nationales zielende Geschichtspolitik (wie ausführlich und argumentiert dargetan wird) als ein vorbedachtes Moment der Gesamtpolitik.

Schließlich untersucht Holger Politt einige Linien linker Politik, die – so der Verfasser – aus Polens komplizierter Geburtsstunde bürgerlicher Verhältnisse bis in die Gegenwart hineinführen und den Niedergang der Linkskräfte veranschaulichen. Mit Interesse wird man Politts Überlegungen lesen, die er solchen wichtigen Figuren wie Roman Dmowski, Ignacy Daszynski widmet, dann aber vor allem den Widersachern Jozef Pilsudski und Rosa Luxemburg, die in Polen immer schon als »öffentliche Unperson« gilt und galt.

Das Buch ist für deutsche Leser bestimmt. Deshalb werden dankenswerter Weise in einem ausführlichen Glossar Parteien, Organisationen sowie typisch polnische gesellschaftspolitische Begriffe erläutert. Alles in allem also ein grundsolides Buch. Nur die »polnische Rolle rückwärts« wird der Leser vergeblich suchen.

Krzysztof Pilawski / Holger Politt. Polens Rolle rückwärts. Der Aufstieg der Nationalkonservativen und die Perspektiven der Linken. Eine Veröffentlichung der Rosa-Luxemburg-Stiftung. VSA: Verlag Hamburg 2016. 176 Seiten, ISBN 978-3-89965-702-9. 14,80 EURO.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Juli 2017