Hilke Wagner, Direktorin des Albertinums in Dresden © SKD Foto: Oliver Killig

Museum und nicht Mausoleum

LNS hat Frau Hilke Wagner, Direktorin des Albertinums der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, zur wieder aufgeflammten Debatte über die Kunst aus der DDR befragt.

LNS:Was ist aus dem sogenannten »Bilderstreit« des Herbstes 2017 in Dresden geworden?

Hilke Wagner: Die Bewertung der durch die Sächsische Zeitung initiierten Debatte, überlasse ich Ihnen. Mich hat erstaunt, wie schnell sich Meinungsäußerungen in den Medien zu Tatsachen wandeln und als geglaubte Fakten unaufhaltsam verselbständigen. Meines Erachtens ging es im »Bilderstreit« nicht um eine sachliche Debatte, sondern allein darum, Empörung zu schüren. Dies ist gelungen. Mein Bemühen konzentriert sich nun darauf, die Spirale der Kränkungen und Gegenkränkungen zu brechen und wieder zu einem wirklichen Dialog zu finden. Ganz deutlich wurde jedoch, wie groß die Verletzungen sind, wie groß die Gräben zwischen Ost und West noch sind und wie viele Missverständnisse und Vorurteile zwischen Ost und West noch herrschen.

Hängt jetzt wieder DDR-Kunst in der Galerie Neue Meister in der Dauerausstellung?

Die Frage impliziert, dass zuvor keine Kunst aus der DDR zu sehen gewesen sei. Hatten Sie vielleicht in den letzten Jahren selten Gelegenheit, ins Albertinum zu kommen? Zum Zeitpunkt der Debatte beispielsweise würdigten wir den Dresdner Künstler Karl-Heinz Adler zu seinem 90. Geburtstag mit einer Sonderpräsentation. In einer weiteren Ausstellung, die sich der Subkultur der 1980er Jahre in Ost- und Westdeutschland widmete, bewiesen wir, dass sich, ausgehend von der Jazz-Szene und A.R. Penck, gerade auch in Dresden früh eine ganz eigenständige Szene entwickelt hat, die der des Westens in Nichts nachsteht. Im Gegenteil, gerade im Osten befruchteten sich bildende Kunst, Musik, Film und Performance gegenseitig auf einmalige Weise.

Interessanterweise ließ die Debatte jedoch Sonderausstellungen im Albertinum nicht gelten, zog im Vergleich aber stets eine temporäre Sonderausstellung des Museum Barberini in Potsdam heran, die wir im Übrigen als größter Leihgeber mit Werken unserer Sammlung unterstützen. Dies führt mich zu dem Schluss, dass es letztlich gar keine Debatte um die Kunst in der DDR an sich, sondern auch um unterschiedliche Kunstbegriffe war und ist, in der viele nichts als die altbekannten Größen oder realistische Malerei überhaupt als Kunst gelten lassen, weder Skulptur noch andere Medien, noch abstrakte malerische Positionen eines Hermann Glöckners, Wilhelm Müllers oder andere. Dass die Debatte um vier der Kunst nach 1945 gewidmeten Räume einer »Dauerausstellung« entbrannte, ist mit der Tatsache zu erklären, dass hier die Kunstausstellungen der DDR stattfanden – und damit für mich nachvollziehbar. Heute ist das Albertinum jedoch ein Museum der Kunst des 19. bis 21. Jahrhunderts, das zudem noch bis 2019 weite Teile der Skulpturensammlung seit der Antike beherbergt. Wie viele andere Museen können wir in der Sammlungspräsentation nur ein Zehntel des Gesamtbestandes zeigen. Allen Sammlungsbereichen gerecht zu werden, ist nur über regelmäßiges Umhängen möglich. Dies bedeutet, dass nicht immer alles, aber immer wieder anderes neu zu entdecken ist. Gerade im Augenblick könnte ich den Vorwurf nachvollziehen, denn die aktuelle Sonderausstellung präsentiert mit Carl Lohse einen Expressionisten, der in der DDR trotz aller Bemühungen nicht reüssieren konnte, doch dafür zeigen wir im Sommer, wenn die Leihgaben zurückkehren, Kunst in der DDR geballt. Dann wird der Bestand zu sehen sein, den viele mit den Exponaten der DDR-Kunstausstellungen verwechseln. Im Gegensatz zum Kupferstichkabinett, wo der damalige Direktor Werner Schmidt wunderbare Werke für die Sammlung sicherte, gilt dies nicht unbedingt für die Gemäldesammlung.

Wird DDR-Kunst seitens der Besucherinnen und Besuchern in den Staatlichen Kunstsammlungen explizit nachgefragt?

Ja, es gibt durchaus entsprechende Einträge im Besucherbuch oder Zuschriften, diese erhielt ich jedoch gleichermaßen als sämtliche der Dauerausstellung der Kunst nach 1945 gewidmeten Räume ausschließlich die Kunst in der DDR zeigten. Ich habe in den letzten Monaten zahlreiche Gespräche mit Besucherinnen und Besuchern geführt, fast immer ist daraus ein konstruktiver Dialog entstanden. Dabei bestehen natürlich auch bei den Besuchern ganz unterschiedliche Auffassungen, was die Kunst in der DDR überhaupt ist und alle der genannten Namen werden niemals auf einmal in den Räumen Platz finden. Es reicht von den von mir sehr geschätzten Nachkriegskünstlern wie Rosenhauer bis hin zu Werken wie »Peter im Tierpark« oder »Paar am Strand“« Ich halte nichts von einer Ghettoisierung der Kunst der DDR, Räume mit der Überschrift »DDR« die völlig unterschiedliche Positionen unter einem Staatslabel vereinen. Vielmehr möchte ich sie auf Augenhöhe und im Kontext mit den künstlerischen Entwicklungen der Welt zeigen und beweisen, wie vielfältig sie war! Enttäuscht hat mich jedoch die Tatsache, dass unter allen Zuschriften, die ich erhielt, nicht ein einziger Name einer Künstlerin fiel und es – außer eines Schreibens der ehemaligen Konservatorin für die Kunst der DDR – ausschließlich männliche Absender waren. Denn mir war gerade das Geschlechterverhältnis in der DDR immer vorbildlich erschienen, offenbar habe ich das idealisiert. Es ist mir wichtig, der überblendeten Narration des Ostens eine Stimme zu geben! Aber lassen Sie mir bitte die Freude zu entdecken und meiner Generation entsprechend, die Kunstproduktion der DDR mit frischem Blick zu zeigen! Es gibt doch noch so unendlich viel zu entdecken!

Gibt es Vorbehalte in der Museumsleitung gegen DDR-Kunst?

Nein, aber mir gefällt die Bezeichnung »DDR-Kunst« nicht. Ich bin überzeugt, dass sich die meisten Künstler, die zwischen 1949 und 1989 in Ostdeutschland gewirkt haben, weniger über Staatsgrenzen als über Inhalte definiert haben.

Sind Mattheuer, Tübke, Heisig und Sitte in den SKD von heute unerwünscht?

Nein, aber man darf die Kunstszene der DDR auch nicht auf diese altbekannten Größen reduzieren. Die Szene war vielfältig und es gibt noch immer viel zu entdecken – Positionen, die selbst im Osten noch nicht ausreichend gewürdigt, im Westen jedoch zum Teil noch vollkommen unbekannt sind! Auch das gehört zu den musealen Aufgaben und ist notwendiger und spannender, als Künstler zu zeigen, die jeder – auch im Westen – mit »DDR-Kunst« identifiziert – und auch mir seit meiner Jugend sehr vertraut sind. Ich habe als Schülerin in Westdeutschland bereits in einer Galerie ausgeholfen, die zum Teil die genannten Künstler vertrat! Sie waren auch im Westen durchaus »marktpräsent«. Kann man mir verdenken, dass ich fasziniert von dem bin, was es sonst noch gab im Osten? Dass es mir generationsbedingt auch darum geht, neue Perspektiven auf die Kunst in der DDR zu erlauben?

Gern können Sie auch ein allgemeines Statement dazu noch abgeben, da meine Fragen nicht alle Facetten abbilden …

Auch wenn es sich meines Erachtens um einen Stellvertreterkrieg handelte, in dem es häufig gar nicht mehr um Kunst ging, so finden hier erfahrene (und aufgestaute) Enttäuschungen und Demütigungen vieler Ostdeutscher eruptiven Ausdruck. Das nehme ich sehr ernst. Ich hoffe, dass trotz aller Verletzungen dieser Moment auch eine Katharsis bedeutet, in deren Folge es darum gehen muss, einander zuzuhören und Fehler im Wiedervereinigungsprozess aufzuarbeiten, die der Westen weitestgehend ignoriert. Hier möchte ich im Kleinen meinen Beitrag leisten und auch Botschafterin gen Westen sein. Die derzeitig unser Miteinander bestimmende Spirale der Kränkungen und Gegenkränkungen muss durchbrochen werden und da ist jeder Einzelne gefragt! Das ist die Lehre, die ich aus der Debatte für mich ganz persönlich gezogen habe. Menschen schrieben mir, nachvollziehbar aufgebracht von dieser Kampagne regelrechte Hass-Mails und Briefe. Ich las sie und spürte, wie die Wut in mir aufstieg, es ungerecht empfand. In diesen Momenten habe ich mich gezwungen, diese Menschen zu kontaktieren, wenn ein Absender angegeben war, und bei aller Meinungsverschiedenheit, die legitim ist, spürte ich, wie die Wut von uns abfiel und ein Gespräch möglich wurde. Einige habe ich im Anschluss persönlich kennengelernt. Letztlich bin ich beeindruckt davon, ja stolz darauf, dass sich die Menschen hier in Dresden so für ihre Sammlungen interessieren, ja mit ihnen identifizieren, es überhaupt derartige Debatten um Inhalte gibt, das Museum eben nicht Mausoleum ist, sondern Ausgangspunkt für wichtige – auch gesellschaftliche, uns heute bewegende – Debatten sein kann!

Vielen Dank für dieses Gespräch!

Interview: Daniel Merbitz

Das Interview ergänzt einen Beitrag, der auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Februar 2018 erschienen ist.