OBM Jung ewar fast schon weg

Sitzen-Bleiber

Von Cornelius Luckner

Nein, dass er über Wasser gehen könne, hat er nie behauptet – der Leipziger Oberbürgermeister Burkhard Jung. Doch wenn die Bürgerschaft ihm derart übermenschliche Fähigkeiten zutrauen würde, wäre das dem gelernten Religionslehrer sicher lieb. Zu gern kommt er in all seinen Ansprachen auf den Beginn seines Agierens an der Stadtspitze zurück. Da lag die Arbeitslosigkeit in der Stadt jenseits von 20 Prozent, das Fußball-Sommermärchen hatte sich noch nicht zugetragen und Leipzig zählte fast 100.000 Einwohner weniger als heutzutage. Eine Zeitspanne fast schon in Merkel-Dimension. Auch das sollte erwähnt werden: Einen Bürgermeister der LINKEN gab es 2006 noch nicht. Seither wurden immerhin schon drei angesehene Persönlichkeiten, die von der LINKEN nominiert wurden, in eine solch gewichtige Funktion gewählt. Unter Jungs Amtsvorgängern Lehmann-Grube und Tiefensee war daran nicht zu denken.

Burkhard Jung liebt den Duft der guten Taten. Aber dann kam der Mai 2018. Mitten in seinem dreizehnten Amtsjahr verbreitete das Stadtoberhaupt per Erklärung, dass seine Leipziger Agenda wie von Wunderhand abgearbeitet sei und dass es ihn auf einen Lobbyposten im Ostdeutschen Sparkassenverband ziehe. Das Dauergrinsen an der Spitze der Verbandspyramide wird mit einer runden halben Million Euro im Jahr vergütet. Was um alles in der Welt zog den Oberbürgermeister auf diesen Posten? Das Geld – auch wenn willfährige Deuter des sonderbaren Karriere-Abzweigs verdruckste Erklärungen nachzureichen versuchten, es müsse einem Sechzigjährigen gestattet sein, ein Finale seines Berufslebens auf einem bequemen Verbandsposten anzustreben. Vielleicht stimmt das ja formal, nur wollte in diesem Fall kein Schauspieler zu einem besseren Engagement und kein Trainer zu einer höherklassigen Mannschaft, sondern ein demokratisch gewählter Amtsträger mitten aus seiner Verantwortungsstellung heraus an eine üppigere Geldquelle.

Jung war viel im Sommer unterwegs, um genügend Unterstützer für seine Sparkassen-Karriere zusammenzutrommeln. Den Riegel der sächsischen CDU-Landräte konnte er allerdings nicht knacken. So bleibt er in seinem Amtssessel sitzen, der ihm doch – siehe die Erklärung von Anfang Mai – unbequem geworden war. Hat sich also die Rückversicherei gelohnt? Für die Person des OBM vielleicht, für die Stadt überhaupt nicht. Jung muss in den eineinhalb Jahren bis zur nun wieder turnusmäßigen OBM-Wahl in Leipzig all die Kisten stemmen, die ihm zu groß und zu lästig geworden waren. Es geht um den erforderlichen Schulhausbau unter Termindruck und um die Zukunft des bezahlbaren Wohnens in dieser Stadt. Es geht um den Stadtkonzern LVV und um die Frage, wie sehr er kommunale Hilfs­truppe oder souverän wirtschaftender unternehmerischer Verbund ist. Darin eingebettet ist gleich noch die Herausforderung, eine kalkulierbare Perspektive für die Finanzierung des ÖPNV zu entwickeln, um der lähmend mahlenden jährlichen Tarifspirale zu entrinnen.

Die wachsende Stadt ist eben keine automatisch wachsende Stadt. Fast scheint es so, dass nichts im Augenblick so willkommen ist wie die Bremsspuren des ungestümen Wachstumstrends. Seitdem Burkhard Jung nach den wolkigen Träumen vom Sparkassen-Olymp wieder die anstrengend harte Erdung der Leipziger Kommunalpolitik erfahren hat, lässt er jedenfalls keine Gelegenheit aus, um plötzlich und unverhofft die Vorteile eines gedämpften Wachstums zu preisen.

Und die Leipzigerinnen und Leipziger? Dass sie mitten in der Legislaturperiode fast von ihrem OBM wegen seiner eigensinnigen Ambitionen verlassen worden wären, hat der politisch wache Teil der Öffentlichkeit durchaus mit Unmut diskutiert. Einen nicht geringen Teil der Bürgerschaft hat dieser unerträgliche Schwebezustand und das flüchtige Adieu jedoch wenig gekümmert, und dies ist kein gutes Zeichen für den sozialen Zusammenhalt und den innigen Wunsch des Beteiligt-Seins an der Entwicklung des Gemeinwesens. Nach acht Jahren Lehmann-Grube und sieben Jahren Tiefensee werden 2020 vierzehn Jahre Jung an der Stadtspitze vergangen sein. Doch mit dehnbaren Formulierungen lässt der OBM schon wieder den Nebel wallen, dass er sich plötzlich ein Verbleiben auf dem Posten vorstellen könnte, den er ohne Vorwarnung selbst seiner eigenen Partei längst schon schnöde verlassen wollte. Anhänger wie Gegner sollten Burkhard Jung unmissverständlich zu verstehen geben, was sie von solcher Sprunghaftigkeit und mangelnder Verlässlichkeit halten. Seit der Sparkassenverband dem OBM gezeigt hat, dass er auf ihn verzichten kann, hat in Leipzig eine neue politische Zeitrechnung begonnen.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Oktober 2018