Richard Wagners »Ring des Nibelungen« in Leipzig

Von Werner Wolf

Vierzig Jahre mussten – abgesehen von zwei Einzelinszenierungen der »Walküre« und des »Siegfried« im Behelfshaus Dreilinden – vergehen, bevor der »Ring« 1973/76 im neu erbauten Opernhaus in der ebenfalls denkwürdigen Inszenierung von Joachim Herz (leider nur bis 1978) zu erleben war. Und leider gibt es davon weder Film- noch Tonaufnahmen.

Joachim Herz gestaltete in der bildkräftigen Ausstattung Rudolf Heinrichs den erbarmungslosen Kampf um Besitz und Herrschaft mit einer bis dahin kaum gekannten darstellerischen und musikalischen Eindringlichkeit. Die Akteure zeigten die Gestalten in ihrer Vielschichtigkeit und Widersprüchlichkeit. Da hatte noch jede kleine Geste und jeder verstohlene Blick Bedeutung, besonders in den monologischen und dialogischen Szenen.

Inzwischen sind wieder 40 Jahre vergangen, bis in Leipzig eine neue Inszenierung dieses Gipfelwerkes das Bühnenlicht erblickte. Und in diesen 40 Jahren hat der »Ring« viele sogenannte Lesarten und Neudeutungen durchleben und erleiden müssen. Die gewichtigste war die Inszenierung von Patrice Chereau 1976 im Festspielhaus Bayreuth. Sie ist ohne das Vorbild der Herz’schen undenkbar. Doch in Unkenntnis der Herz-Inszenierung in der damaligen Bundesrepublik wurde die Chereaus zum Jahrhundert-»Ring« erklärt.

Versprechungen eines neuen »Rings« zum 300-jährigen Bestehen der Oper Leipzig blieben Schall und Rauch. Auch bis zum 200. Geburtstag Richard Wagners vermochte die Oper der Vaterstadt keinen neuen »Ring« zu schmieden. Es bleibt dem Generalmusikdirektor Ulf Schirmer zu danken, dass er nach Übernahme der Intendanz alle Kräfte mobilisierte, um zu diesem Gedenktag mit »Rheingold« eine Neuinszenierung zu beginnen. die im April mit »Götterdämmerung« vollendet wurde.

Dieser neue Leipziger »Ring« beeindruckt in seiner musikalischen Gestaltung nachhaltig. Ulf Schirmer vermochte ein Ensemble aufzubauen, das wichtige Partien überzeugend gestalten kann. Dass er für die Hauptpartien noch auf Gäste angewiesen ist, liegt in Versäumnissen seiner Vorgänger in der Intendanz, ist zudem auch dem heutigen internationalen Opernbetrieb geschuldet. Mit dem Gewandhausorchester verfügt die Oper aber wie nur wenige Häuser über einen Klangkörper von internationalem Rang, und den führt Ulf Schirmer überlegen. So werden die dramatischen und lyrischen Großartigkeiten, der Klang- und Farbenreichtum wie auch die Abgründe dieses einzigartigen Werkes zum Ereignis.

Für die Regie verpflichtete Ulf Schirmer Rosalind Gilmore. Sie hält sich weitgehend an die Partitur und verzichtet auf Neudeutungen. So können die Opernbesucher das szenische Geschehen (bis auf entbehrlichen, meist nur ablenkenden Einsatz einer Tanzgruppe) ohne sonderliche Überraschungen aufnehmen. Das quittierten die überwiegend auswärtigen Besucher des ersten ausverkauften Zyklus mit stürmischem Beifall.

Wer allerdings noch Aufführungen der Herz-Inszenierung erlebt hat, fand das szenische Geschehen oft nur mehr oder minder gestellt und vermisste die darstellerische Intensität.

Der Beitrag ist erschienen auf LEIPZIGS NEUE Seiten im Juni 2016