Ich habe einen Fehler gemacht

Wie oft steht jemand mit gesenktem Kopf in der Öffentlichkeit oder im Freundeskreis vor den Menschen und sagt mit belegter Stimme diesen Satz ­in der Hoffnung, man möge ihm ver­zeihen oder ihn wenigstens verstehen. Aber was sind das für Handlungen, die der gesellschaftlichen Öffentlichkeit zur Zeit von prominenten Persönlicheiten als »Fehler« präsentiert werden?

Vorteilsnahme, Bestechlichkeit, Steuerschulden, Plagiat... u.ä. Was ist ein Fehler? Das Wort (mhd velen) trat im 15. Jahrhundert im Zusammenhang mit Lanzenschießen auf und bedeutete: »sein Ziel verfehlen, vorbeischießen«. Im 18. Jahrhundert erweiterte sich die Bedeutungzu:»Versehen« als Schreib- ­oder Rechenfehler. Ein Versehen be­ruht auf einem Irrtum oder einer Wis­senslücke. Doch wer Steuern hinter­zieht, Bestechungsgelder annimmt oder in seiner Dissertation Äußerungen anderer Autoren als eigene ausgibt, weiß, dass er damit gegen gesellschaft­liche Regeln verstößt. Es handelt sich in allen diesen Fällen öffentlicher Feh­ler-Geständnisse in Wahrheit nicht um Irrtümer oder Wissenslücken, sondern um moralisch verwerfliches Handeln, um das bewusste Hintergehen morali­scher Normen, deren Einhaltung meist sogar juristisch geregelt und strafrecht­lich zu verfolgen sind.

Aber warum reden sie alle von »Fehlern«? Die Delinquenten möchten in der Öffent­lichkeit den Eindruck erwecken, es handele sich nur um Irrtümer anson­sten gesellschaftlich achtbarer Persön­lichkeiten; sie möchten sich schon durch die Formulierung des Schuldbe­kenntnisses moralisch reinwaschen. Dazu gehört schon ein Selbstverständ­nis recht arroganter Art.

Der Beitrag ist erschienen in LEIPZIGS NEUE, Ausgabe April 2014