Im Tollhaus

Die vergangenen Tage hielten wieder einen außergewöhnlich bunten Strauß aus befremdenden Merkwürdigkeiten und gediegenem Altherrenhumor für uns unbedarfte Einwohner dieses aus blühenden Landschaften zusammengestückelten Staatsgebildes bereit. Zwar sollte man meinen, die heutigen Protagoni­sten des politisch motivierten Schwachsinns hät­ten aus den Blödsinnigkeiten der Altvorderen gelernt, doch die gelebte Praxis zeigt uns täglich: dem ist nicht so. Was wiederum beweist, da der Mensch nur (sehr) bedingt lernfähig ist. Erfreuen wir uns also an einer kleinen Auswahl des geball­ten Unsinns. Zartbesaitete sollten jetzt die Tücher aus den Taschen ziehen, um der Verzweiflungsträ­nen Fluss Herr oder Frau zu werden.

Da gibt es zunächst den Auftritt eines gewissen Herrn Scheuer, Generalsekretär einer bayeri­schen Regionalpartei, der sich in die Fernsehka­meras empört, »unsere Jungs würden bei Wasser und Brot in den Verliesen schmachten«, während Altkanzler Schröder und sein Busenfreund Putin rauschende Feste mit Krim(!)sekt und Kaviar fei­erten. Gemeint hatte er die zeitweilig aus dem Beobachterverkehr gezogenen Bundeswehrmachtsoffiziere nebst Dolmetscher, die sich ohne OSZE-Mandat in der Ostukraine herumtrieben. Und natürlich die Geburtstagsfeier Schröders im ehemaligen Leningrad, an der – und an dieser Stelle wird's zur Schmierenkomödie – auch der außenpolitische Sprecher der CDU, Philipp Miß­felder, mehr oder weniger berauscht teilgenom­men hatte.

Verständlich, wenn es Häppchen und Suff für lau gibt, geraten die politischen Grundsätze schon mal ins Wanken. Das muss an dem wacke­ren Bajuwaren vorbeigesaust sein, der auch sonst nicht gerade durch intellektuelle Regsamkeit auf­fällt. So schrieb DIE WELT beispielsweise:

»CSU-­Generalsekretär Andreas Scheuers Fre­vel ist nicht, seine Doktorarbeit abgekupfert zu haben, sondern deren Belanglosigkeit und Phrasendrescherei. Fassungslos beugt man sich über die Seiten.« Zitat Ende.

In der Qualität nicht zu vergleichen mit Bay­ern­-Andis Plaudereien, aber dennoch voll ungewollter Witzigkeit ist Katja Kippings (LINKE) Vorschlag, den 1. Mai in »Tag der Gerechtigkeit« umzutaufen. Äh ... ja. Es kann na­türlich sein, sie hat sich einfach im Monat geirrt und meinte eigentlich den 1. April. Oder, was wahrscheinlicher ist, es handelt sich um eine lan­cierte Intrige des Klassenfeinds, der das Kalenda­rium manipuliert hat. Oder aber es waren Drogen im Spiel. Man weiß es nicht.

Apropos 1. Mai. Der Berliner Innensenator Henkel verkündete freudetrunken, dass es wäh­rend der Revolutionären Maidemonstration zu keinerlei wesentlichen Gewaltexzessen kam, sei einzig und allein seiner Polizei zu verdanken. Jawollo, damit hatten die 25.000 Demonstranten gar nichts zu tun. Die sollen doch gefälligst froh sein, nicht der Ordnungshüter hartes Gummi­stöckchen spüren zu müssen. Weiter so, Henkel­chen, du bist der heißeste Anwärter auf den Orden wider des tierischen Ernst und empfiehlst dich mit Vehemenz für höhere Aufgaben. Ostukraine? Alles ist möglich. Jetzt ehrlich mal.

Der Kalenderspruch des Monats aber kam dies­mal vom Brandenburger Regierungschef Dietmar Woidke. Auf dem sozialdemokratischen Landesparteitag verkündete er seine neuesten For­schungsergebnisse, nämlich (O-­Ton Woidke): »Wahlkampf ist kein Kasperletheater.« Donnerwetter, dann sitze ich seit etlichen Jahrzehnten im falschen Film. Obwohl, wenn man es genau betrachtet, mal in die Tiefe des derzeit tobenden Europawahlkampfs abtaucht, da geht's ganz schön zur Sache:

»Europa neu denken« (SPD), »Gemeinsam erfolgreich in Europa« (CDU), »Für ein Europa, in dem niemand untergeht« (Grüne). Nee, wirk­lich, Wahlkampf ist kein Kasperletheater.

Zum Schluss noch eine Meldung vom Sport. Auf der Mitgliederversammlung des FC Bayern (Mia san mia) verabschiedete sich der ehemalige Präsident und Großkriminelle Uli Hoeneß von den Mitgliedern des Clubs mit markigen Worten und stiernackigem Gestus. Nach Verbüßung sei­ner Haftstrafe komme er wieder. »Das war's noch nicht!«

Man sollte das durchaus als Drohung begreifen.

Der Beitrag ist erschienen in LEIPZIGS NEUE, Ausgabe Mai 2014